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Kommerziell auf Internet-Plattformen anbieten: Fluch oder Segen?

Sebastian Schroers, 19.05.2022
Lesezeit: ca. 6 min

Waren es früher oft Mineralölkonzerne, so sind es heute große Tech-Firmen, die den Großteil der wertvollsten Unternehmen weltweit ausmachen (vgl. Schmidt, 2020). Doch warum ziehen Plattformen so viele Nutzerinnen und Nutzer an? Dieser Beitrag erläutert das Konzept von Netzwerkeffekten und ordnet ein, unter welchen Umständen der kommerzielle Vertrieb auf Internet-Plattformen für Unternehmen sinnvoll sein kann. ​​

Take-Home Message
​Plattformen können durch ihre Vermittlungsfunktion Handel kreieren und Parteien zusammenführen, die sonst nicht ohne weiteres zusammen gefunden hätten. Diese Dienstleistung erfolgt jedoch i.d.R. nicht kostenlos. Auch wenn das Plattformgeschäft für eine Marktseite unentgeltlich zu erfolgen scheint (z.B. für die Kunden auf Amazon), so bezahlen die Händlerinnen und Händler Provisionen. Dieses gängige Prinzip der Quersubventionierung (siehe auch Caillaud und Jullien, 2003) zielt auf den Mechanismus der indirekten Netzwerkeffekte ab und stimuliert das Wachstum der Plattformen. Aus dem Plattformgeschäft kann daher langfristig ein Abhängigkeitsverhältnis entstehen, welches Anbieterinnen und Anbieter in ihrer Vertriebsstrategie einkalkulieren sollten. Ist diese Abhängigkeit nicht erwünscht, so lohnt sich der Aufbau eines professionellen Webshops mit einer darauf abgestimmten Marketing-Strategie. Unter diesen Aspekten sollten Unternehmen oder ihre externen Berater ein datengeführtes strategisches Entscheidungsmodell entwickeln um erfolgreich auf Plattformen zu agieren und dabei Risiken zu mitigieren.

Die Existenz von Netzwerkeffekten
Mit wachsender Dynamik haben sich diverse Verkaufs- oder Vermittlungsplattformen zu dominanten Playern in der Wirtschaft entwickelt. Während z.B. Amazon eine Doppelrolle als Marktplatz und Händler inne hat, führt z.B. Lieferando die Gastronominnen und Gastronomen mit den Konsumierenden zusammen, ohne dabei selbst Speisen zuzubereiten. ​Digitale Plattformen locken die potentiellen Nutzerinnen und Nutzer in der Regel mit einer großen Reichweite. Hier spielen (indirekte) Netzwerkeffekte (vgl. Katz und Shapiro 1985, 1996) eine maßgebliche Rolle. Bei Messenger-Diensten wie z.B. WhatsApp profitieren die Nutzenden direkt voneinander. Bei einer sog. zweiseitigen Plattform hingegen spielt die Wechselwirkung zweier Marktseiten die entscheidende Rolle.

Sind viele Anbieterinnen bzw. Anbieter auf einer Plattform aktiv, so wird durch die große Auswahl das Interesse der Käuferinnen und Käufer geweckt. Diese steigern wiederum den Nutzen der anbietenden Betriebe usw. Der sich selbst verstärkende Mechanismus - in der Ökonomie als indirekter Netzwerkeffekt bekannt -  kann zu einem massiven Wachstum der Plattform führen. Die für diese Entwicklung notwendige Anzahl an Plattform-Nutzenden wird  als sog. „kritische Masse“ (vgl. Rohlfs 1974) bezeichnet.​

Der Nutzen einer Plattform
Eine breit gefächerte Internet-Plattform wie z.B. Amazon bietet Kundinnen und Kunden eine große Produktpalette. Der Nutzen der Konsumierenden steigt gewöhnlich mit der Anzahl an Varietäten (ökonomisch basierend auf den „Dixit-Stiglitz-Präferenzen“, 1977), wodurch die Plattform aus Kunden-Perspektive mit der großen Auswahl an Attraktivität gewinnt. Als Zwischeninstanz kann die Plattform zudem potentielle Handelsbarrieren senken, indem etwa​ der Zahlungsprozess ausgelagert wird. Darüber hinaus können auch Logistik-Lösungen aus Anbieter-Perspektive wirtschaftlich relevant sein. Liegt ein funktionierendes Reputationssystems in Form von Produkt-bewertungen vor,  so haben Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, Suchkosten einzusparen und damit schneller das für sie passende Produkt zu finden. Hat die Plattform selbst im Vermittlungsprozess nur geringe operative Kosten, kann ihre Existenz in der Gesamtperspektive die Wohlfahrt (also das Maß an Wohlstand einer Gesellschaft) potentiell erhöhen. Auf den ersten Blick überwiegen die Vorteile, jedoch sind Plattformen auch umstritten.  Warum?​

Die Konsequenz für Internet-Händler
Insbesondere dann, wenn Anbieter über ihre eigene Website unwirtschaftlich agieren, gestaltet sich eine Plattform als Hebel,  um zusätzliche Einkünfte zu generieren. Produzentinnen und Produzenten kann der direkte Kunden-kontakt durch die Plattformintermediation jedoch verloren gehen. Je mehr Traffic auf einer Internet-Plattform herrscht, umso attraktiver ist sie für die Betriebe. Die Plattform nimmt in diesem Fall die Rolle eines „Gatekeepers“ ein, welcher den Online-Marktzutritt im entsprechenden Segment reguliert. Diese Form der Marktbeherrschung kann sich neben den Entgelten für die Plattformnutzung z.B. in der marginalen Anpassung der Ranglisten-Priorisierung äußern. Die Bedeutung des Rankings auf Plattformen konnte bereits empirisch gezeigt werden (vgl. Ursu 2018). Suchergebnisse am unteren Ende des Suchfelds generieren automatisch weniger Aufmerksamkeit bei den Konsumentinnen und Konsumenten als die Top-Resultate. Die Art und Weise wie Produkte online gelistet werden hat also – analog zur Positionierung von Produkten im Supermarkt - Einfluss auf den Verkaufserfolg. Anbieterinnen und Anbieter sind deshalb in mehreren Facetten abhängig von der Plattform.​

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Das auf Provisionen basierende Geschäftsmodell
Wer seine Produkte auf einer Internet-Plattform anbieten will, sollte zunächst das Geschäftsmodell der Plattformen verstehen. Grundsätzlich sind auf jedes verkaufte Produkt anteilige Provisionszahlungen an die Plattform abzutreten. Diese variieren je nach Produkt-Kategorie und mindern die Marge daher unterschiedlich stark. Fixe monatliche Gebühren zur Plattform-Nutzung sind darüber hinaus üblich.​ Auch wenn die Reichweite der Produkte Dank einer Plattform in der Regel erhöht werden kann, so werden die Betriebe nun mit einer veränderten Einkunftsstruktur konfrontiert. Auf der einen Seite ergibt sich der Unternehmens-Umsatz traditionell aus dem direkten Vertriebskanal. Hinzu kommt der Umsatz aus dem Plattformgeschäft abzüglich der Provisionsabgaben. Je mehr Transaktionen insgesamt über die Plattform verkauft werden, desto höher ist die Summe der Provisionsforderungen. Zudem steigt das Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Plattform, je größer der Anteil an vermittelten Transaktionen ist. Für die anbietenden Betriebe erwächst daraus ein potentielles Spannungs-verhältnis. Trotz des potentiellen positiven Nachfrageeffekts des Betriebs verfügt die Plattform letztlich über ihre Absatzkanäle und ist selbst an Gewinnmaximierung interessiert. Zu klärende Fragen sind dann: In welchem Segment bin ich tätig und wie austauschbar sind meine Produkte? Wie hoch ist der Nachfrageeffekt in diesem Bereich durch die Plattform? Inwiefern verdrängt die Plattform meinen eigenen Vertriebskanal – d.h. verliere ich bestehende Kunden an die Plattform? Erwirtschafte ich durch die zusätzlichen Verkäufe einen signifikanten Überschuss, oder wird dieser durch die Provisionszahlungen nivelliert? Wie positioniere ich mich strategisch und zukünftig am Markt?​

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Weiterführende Literaturhinweise zur ökonomischen Theorie:

- Caillaud, B. und B. Jullien (2003). “Chicken & Egg: Competition among Intermediation Service Providers”. In: The RAND Journal of Economics Vol. 34 (No. 2), S. 309–328.

- Dixit, A. K. und J. E. Stiglitz (Juni 1977). “Monopolistic Competition and Optimum Product Diversity”. In: The American Economic Review Vol. 67 (No. 3).

- Katz, M. L. und C. Shapiro (Juni 1985). “Network Externalities, Compe-tition, and Compatibility. In: The Amer-ican Economic Review Vol. 75 (No. 3), S. 424–440.

- Katz, M. L. und C. Shapiro (Nov. 1986). “Product Compatibility Choice in a Market with Technological Pro-gress”. In: Oxford Economic Papers Vol. 38, Supplement: Strategic Beha-viour and Industrial Competition, S. 146–165.

- Rohlfs, J. (1974). “A Theory of Interdependent Demand for a Com-munications Service”. In: The Bell Journal of Economics and Manage-ment Science Vol. 5 (No. 1), S. 16–37.

- Schmidt, H. (Okt. 2020). “Plattform-Ökonomie: Top 100 Plattformen”. URL: https://www.netzoekonom.de/plaIorm-oekonomie/ (besucht am 01.02. 2022)

- Schroers, S. (2022). Masterarbeit: “Marktmacht auf Plattformen: Anreize für den Plattformbeitritt aus Anbieter-Perspektive - eine ökonomische Analyse.” (unveröffentlicht).

- Ursu, R. M. (2018). “The Power of Rankings: Quantifying the Effect of Rankings on Online Consumer Search and Purchase Decisions”. In: Marke-ting Science Vol. 37 (No. 4), S. 530 –552.

Tags: Digitale Ökonomie, Internet-Plattformen, Netzwerkeffekte, Provi-sionen, kritische Masse, Onlinehan-del, Amazon, Lieferando